Viele neue Geschichten warten darauf geschrieben zu werden. Doris Dörrie thematisiert es in ihrem Buch „Die Heldin reist“ genauso wie Charlotte Runcie in „Wie Salz auf der Zungen – Frauen und das Meer“: es gibt den Heldenepos, die Abenteuer männlicher Protagonisten. In den Büchern, die wir gelesen haben reisen mehr Zauberwesen – Hobbits und Zauberlehrlinge – als Frauen. Die Geschichten mit Protagonistinnen sind eher Schicksalsjahre, die Männer sind aktiv, die Frauen lassen das Schicksal über sich ergehen.
Ich kann mich sehr gut an das Gefühl erinnern, als ich zum ersten Mal Anfang Zwanzig zu einem Sprachkurs nach England allein flog. Auf keinen Fall durfte ich den Flug verpassen und den Weg zum Treffpunkt musste ich auch noch finden. Es war keine Einsamkeit oder Angst, eher das Gefühl ohne Halt, ohne Absicherung, nur auf mich gestellt zu sein.
Den Flug habe ich nicht verpasst. Das Problem den Eingang zum Flusshafen in Birmingham zu finden habe ich einem Taxifahrer übergeben – der Kurs fand auf einem „narrow boat“ statt. Zwei Wochen war ich mit fremden Menschen auf einem langen Boot durch Kanäle Englands geschippert und Englisch im Unterricht und beim Zusammenleben mit Lehrern und Sprachschülern aus ganz Europa geübt.
Seitdem war ich viele Male allein unterwegs. Eine ganze Reise allein habe ich zum ersten Mal vor drei Jahren unternommen – nach Dublin. Der Trip war nicht so geplant, aber irgendwann gab es nur die Möglichkeit die Reise abzusagen oder allein zu reisen. Ich hatte mich für das letztere entschieden. Auf dieser Reise sind mir vor allem Zäune und Fensternischen ohne Fenster aufgefallen. Ich kam mir ausgeschlossen vor.
Als ich am Rande einer Dienstreise allein durch Bonn streifte und in einem alternativen Buchladen landete, fiel mir ein Buch in die Hand, das so gut zu meiner Situation passte, dass ich es kaufen musste: Auf lila Hintergrund strahlte in oranger Schrift „Eine Frau geht einen Trinken. Alleine.“ Die Farbkombination passte so gut zusammen, wie der Schriftzug „ALTSTADT“ aus Neonröhren über den Eingang in die Straße, in der ich mich befand. In diesem Büchlein las ich alleine in einer Kneipe sitzend, über die Entwicklung der gesellschaftlichen Norm, dass Frauen nicht allein unterwegs sein sollen, noch nicht mal oder schon gar nicht in der Kneipe um die Ecke. Zu meinem Drang selbstbestimmt unterwegs zu sein, hat sich seit dem ein kleiner Trotz gesellt. Und jetzt erst recht.
Nun steht wieder eine Reise allein an. Erst beim Schreiben merke ich – es ist wieder die Insel, es geht zum ersten Mal nach Schottland.
Ich packe meinen Koffer und nehme mit: eine Kamera, Schreibzeug und die Allzweckwaffe – Handy, vor allem aber die Einstellung aus Doris Dörries Buch – ich mache mich auf beobachtend und jede Herausforderung als eine Station auf einer Heldinnenreise als Teil des Abenteuers betrachtend, aktiv und optimistisch, als Gegensatz zu den bekannten Narrativen: „Der klassische amerikanische Held ist ein Optimist […] Während er durch Unterholz stapft auf der Suche nach dem Drachen, bangt die Frau daheim. Sie hat keinen Traum, den sie von sich aus allein verfolgen könnte, sie wartet auf die Rückkehr des Helden und ist […] eher Pessimistin. Die Hüterin des Konjunktivs. Hätte, würde, könnte.“ (aus „Die Heldin reist“)
Es soll eine neue Geschichte entstehen. Die Geschichte einer Reise in Schottland, eines Abenteuers, aus dem die Protagonistin heil und etwas verändert zurückkehrt.
PS: Diesmal sind viele Bücher erwähnt, für Interessierte hier die Liste
- „Die Heldin reist“ von Doris Dörrie https://www.diogenes.ch/leser/titel/doris-doerrie/die-heldin-reist-9783257247268.html
- „Wie Salz auf der Zunge – Frauen und das Meer“ von Charlotte Runcie https://www.penguin.de/buecher/charlotte-runcie-wie-salz-auf-der-zunge/paperback/9783442719686
- „Eine Frau geht einen trinken. Alleine.“ von Lou Zucker https://www.maroverlag.de/marohefte/269-eine-frau-geht-einen-trinken-alleine-9783875126266.html

Wie auch schon andere Geschichten sehr interessant und aufschlussreich!
Habe ich sehr gerne gelesen, könnte so weiter stundenlang lesen!
Danke!