Nur kurz

Krankenwagen und Rettungskräfte auf den Planken in Mannheim
Bild von https://www.mannheim24.de/baden-wuerttemberg/grosslage-in-mannheimer-innenstadt-die-ersten-bilder-des-polizeieinsatzes-zr-93604412.html am 03. März 2025

„Ein PKW rast in eine Menschenmenge in Mannheim,“ schreibt meine Kollegin im Gruppenchat. Mir wird es heiß und kalt: Ronny ist beim Papa, sie wollten zum Faschingsumzug in die Stadt.

Ich entsperre mein Handy, wähle die Nummer. Seit Ronny der einzige Grund für unsere Gespräche ist, sind wir füreinander immer erreichbar. Im Zweifel für ein kurzes: „Ist es dringend? … Ich rufe in einer halben Stunde zurück.“

Dauert es immer so lange bis die Nummer gewählt ist? „Kein Kopfkino, alles ist gut“ – lautet mein Mantra. Freizeichen. Nach jedem Klingeln wächst in meinem Inneren das Panikmonster etwas mehr. Nach viertem Klingeln wird der Anruf weggedrückt. Mein Panikmonster zeigt mir einen tonlosen Film: Ronny bewusstlos auf einer Metallbarre, wird zum Krankenwagen geschoben. Sein Papa läuft besorgt daneben, hält die leblose Hand. Der Anruf wird weggedrückt ohne aufs Display zu schauen.

Ronny hat doch auch ein Handy, fällt mir ein. Die zitternden Finger haben Schwierigkeit die richtige Kurzwahltaste zu treffen. Ronny ist sofort dran. „Gut,“ antwortet er entspannt. „Wir chillen zuhause…nein, da waren wir gestern.“ Ich wünsche ihm noch schöne Ferientage und lege auf. Es klingelt sofort. Sein Papa ruft mich an: „Du hast angerufen?…Oh Mann, nein, Nachrichten habe ich noch nicht mitbekommen…Geht es dir gut?“ Mein Panikmonster platzt. Ich weine.

Als ich auflege, fühle ich mich leer.

Meine Freundin chattet mich an: „Wieso ist Europa für den Krieg?!“ Wir sind seit unseren Kindertagen befreundet, als wir noch beide in eine Klasse gingen. Jahrzehnte der Zeit und Tausende Kilometer haben der Freundschaft nichts angetan. Über Politik tauschen wir uns fast nie aus. Ich könnte jetzt all die guten Gründe für die Politik der Europäer nennen, ich kann es aber nicht. Ich wusste nur kurz nicht, wie es meinem Sohn geht. Sie bangt manchmal Tage, bevor sie ein Lebenszeichen von ihrem Sohn von der Front bekommt.

Ein Kommentar

  1. Liebes Chellinchen,

    vielen lieben Dank für deine tollen und sehr persönlichen Erinnerungen und Erlebnisse, die du mit uns teilst.
    Sie berühren mich jedes mal und regen mich zum Nachdenken über das jeweilige Thema an.

    „Nur kurz“ hat mich sehr berührt und auch betroffen. Als Mutter von zwei Söhnen, die in einer Stadt mehrere hundert Kilometer entfernt von mir studieren, kenne ich die Sorge und auch Angst um die eigenen Kinder – sobald mich eine Hiobsbotschaft aus dieser Stadt erreicht – sehr gut.

    Ich freue mich noch auf viele weitere Veröffentlichungen von Dir.

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