Es kann nur besser werden
Es sind nun einige Monate seit meiner Reise nach Usbekistan vergangen, die Erinnerungen verblassen und werden nostalgischer. Mit diesem Beitrag möchte ich die Serie beenden und ein kleines Gegengewicht zu dieser Romantisierung setzen. Heute möchte ich über Orte schreiben, die so gut wie nie in Reiseführern vorkommen, die aber auf jeden Fall alle Reiselustigen besuchen: die stillen Örtchen.
In den westeuropäisch geprägten Ländern sind wir einzelne Kabinen, Sitzgelegenheiten – neben den Urinalen – und ein gewisses Maß an Hygiene – auch in öffentlichen Toiletten – gewohnt. In den Hotels und Restaurants entsprachen die Toiletten auf unserer Reise unserem Bild. Vielleicht waren die öffentlichen WCs auch deswegen ein größerer Kulturschock.
Es scheint so, als wäre die menschlichen Ausscheidungen etwas, was man am liebsten nicht beachtet, dem man auch in der Einrichtung der öffentlichen Plätze keine Aufmerksamkeit schenken möchte, den wie kann man Toiletten planen und einrichten, ohne ihnen Beachtung zu schenken.
Auf dem Weg nach Buchara machten wir einen Halt auf einer Autobahn, um die Reste einer Karawansarei aus dem 11. Jahrhundert zu besichtigen. Karawansarei – waren Gasthöfe, wo Karawane auf ihren langen Strecken halt machten, übernachten und essen konnten. Außer dem Portal sind nur die Grundrisse dieses Gasthofs zu sehen. Ein Blick in den Reiseführer aus dem Jahr 2017 zeigt, dass das Portal seitdem restauriert wurde. Einige auf dem Foto des Reiseführers sichtbare abgeschlagenen Ecken waren bei unserem Besuch wieder aufgefüllt. Der touristische Wert dieser Stätte ohne Eintrittsgebühr ist also durchaus klar. Bei der Restaurierung hatten aber die zu irdischen Bedürfnisse der Besucher:innen – die stillen Örtchen – keine Berücksichtigung gefunden. Um auf die Toilette zu kommen, mussten wir eine Autobahn überqueren – zu Fuß darüber laufend. Nochmal langsam lesen bitte: wir sind über mehrere Spuren, eine Abgrenzung in der Mitte und nochmal mehrere Spuren einer Autobahn zu Fuß gelaufen, einzelnen Autos ausweichend. Zum Glück war sie dort nicht so befahren wie die A5. Im Reiseführer steht zu dem Karawansarei: „Auf gegenüberliegenden Seite (das Überqueren der Autobahnabgrenzung erfordert ein wenig Geschickt) liegt eine kleine Teestube.“ Neben der Teestuben betreiben Geschäftstüchtige eine Toilette für Touristen nach europäischen Standards gegen einen kleinen Obolus von 3.000 Usbekische Sum (etwa 30 Cent), die wir gern gezahlt hatten. Abenteurlicher Weg, der sich gelohnt hatte.
Das erste Mal mussten wir auf dem großen Markt Tschorsu in Taschkent eine öffentliche Toilette benutzen. Unser Guide führte uns zu einem abgetrennten Häuschen innerhalb des riesigen Marktgebäudes, blieb in einiger Entfernung davon stehen und zeigte uns mit einem Handzeichen den Weg. Näher war er der Einrichtung nicht gekommen, es war in etwa die Geruchsgrenze des Etablissements.
Aus meiner Kindheit erinnere ich mich an die Toiletten, die einfach ein Loch im Boden waren. Das war – außerhalb der Wohnungen – nicht ungewöhnlich. So sah unsere Schultoilette aus: ein Raum mit einer Art Podest entlang einer Wand, in dem es 4 oder 5 Löcher im Boden gab. Zu jedem Loch gab es ein Spülung, die Löcher waren nicht durch einen Sichtschutz getrennt. Auf die Toilette zu gehen war eine gemeinschaftliche Angelegenheit. Es gab zwar in dem Raum ein abgetrenntes Häuschen mit einem normalen WC für die Lehrerinnen, mit einem besonderen Schloss versehen, zu dem nur die Lehrerschaft den Schlüssel hatte. Sehr oft hatten sich die Lehrerinnen über den Löchern für Schülerinnen in den Pausen eingereiht, vielleicht war das am Ende hygienischer als in dem abgetrenntem Häuschen mit nicht immer funktionierendem Licht. Nicht nur die Putzfrau hatte keine Möglichkeit darin etwas zu sehen, da das Häuschen lichtdicht gebaut war.
Im antiken Rom waren Toiletten sehr ähnlich unserer Schultoilette – Orte der Unterhaltung. Es gab keine Geschlechtertrennung und keine Trennwände, in bis zu 80 Plätzen umfassenden Latrinen. Für Privatsphäre sorgten die Tunikas, die beim Sitzen einiges überdeckten. Anders als fast 2000 Jahre später in unserer Schule, saßen die Römer auf Sitzen mit Löchern. Keine Oberschenkelmuskelübungen beim Schwebend über einem Loch im Boden.
Der Boden der Toilette bei unserer Reise in Tschorsu stand – sagen wir mal – unter Wasser. Dass das Wasser so hoch war, dass ich die Hosenbeine hochgekrempelt hatte, bevor ich mit einem Fuß eingetreten war, hatte sich später als ein Segen erwiesen. Die Löcher im Boden waren durch Sichtschutz getrennt. Für die Löcher im Boden waren in Keramik gefasst. Die Formen boten rechts und links je Platz für einen Fuß und waren sonst ähnlich den Sitzschüsseln geformt sind, nur halt auf Bodenhöhe. So gut – so ungewohnt. Die Erbauer dieser Damentoiletten gingen wohl von Kleidern aus, denn die schwebende Hocke war nicht mit trockenen Kleidern zu meistern gewesen, wenn die Hosenbeine normale Länge hätten. Das starke Odeur ließ vermuten, dass die Spülung nicht richtig tat. Diese hatte jedoch wunderbar funktioniert, das Wasser kam mit so einer Wucht aus der Leitung, dass es die Hälfte des Wassers unter der Mitnahme der Ausscheidungen auf den Boden spülte. Da auch diese Bodenlöcher auf einer Art Podest waren, floss das Gemisch bei jedem Spülgang aus jeder Kabine auf den Boden der Toilette bis in den Waschraum.
Als ich meiner Freundin, die öfter in Taschkent ist, davon erzählte, meinte sie nur: „Ihr seid mutig, noch nicht mal ich gehe dort aufs Klo.“
Der Besuch gleich zu Anfang hatte was Gutes, es konnte nur noch besser werden. Alle öffentliche Toiletten hatten wir während der Reise per Tschorsu-Vergleich bewertet. „Es ist nicht so schlimm wie in Tschorsu“, hieß die Bewertung, wenn die erste mutige entgegen kam, oder „Es ist viel besser als in Tschorsu.“ Tatsächlich war das erste Erlebnis mit Abstand das Prägendste und es gab keine öffentliche Toilette die der auf dem Markt gleichkam oder gar schlimmer gewesen wäre.
Es ist wichtig so etwas zu lesen, in Erinnerung zu bringen, so etwas verdrängt man gerne.
Das sind wichtige Örtchen, den oft zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird, sollte aber…
Danke! Ich habe das Gefühl, ohne es aufzuschreiben, würde ich es auch gern verdrängen.