Die Wege, die wir nehmen

Knapp zwei Kilometer zur nächsten Bushaltestelle durch den Wald. Der Bus kommt alle zwei Stunden am Wochenende, zwischen 10:00 und 21:00 Uhr. Ich bin keine Autostunde von Berlin entfernt und komme nicht so einfach in die Stadt. Wie konnte ich nur ohne Auto hierher kommen?
Wie so oft hat alles mit einem Buch angefangen „Das Minimalismus-Projekt“ von Christof Herrmann. Erst kamen die 10.000 Schritte am Tag, die für mehr Bewegung im Alltag sorgen sollten. Damit ist war tägliche Bewegung tatsächlich eingebaut ohne an ein Fitnessstudio Spenden zu entrichten – denn das Monatsabo allein motiviert mich nicht zum Sport. Und das Ganze günstig und umweltfreundlich. Damit blieb das Auto öfter stehen, es kamen Wege mit dem Fahrrad und den öffentlichen Verkehrsmitteln hinzu. Die größte Veränderung war – die Zeiten für den Ortswechsel mussten anders geplant werden. Einige Termine gingen nicht mehr so schnell hintereinander. Es war anders als gewohnt und anders ist immer zunächst ein Aufwand. Diese neue Form der Fortbewegung hat gleich etwas Entschleunigung gebracht.
Natürlich betraf die Änderung nicht nur mich. Die Kinder hatten auf einmal kein Mama-Taxi mehr. Im Alter angekommen, sich allein fortbewegen zu können, durften sie das nun auch öfter tun. Mehr freie Zeit für mich, da ich nun keine „mal eben“ Wege für die Kinder zurücklegen muss.
Ein Auto, das die meiste Zeit auf dem Parkplatz steht, hat nach einigen Monaten den Besitzer gewechselt. Der Schritt hat trotz der dreimonatigen Erprobung Mut gebraucht.
Die noch verbleibenden notwendigen Autofahrten können bequem aus der Flotte des Karlsruher Stadmobils bestritten werden. Ob Urlaub in den Bergen oder größerer Einkauf, ganz verzichten muss ich auf das Auto nicht. Der Bonbon – ich kann für jede Fahrt das passende Auto nehmen – groß, klein, E-Antrieb, viel Kofferraum – es gibt für alles ein passendes Auto in der Flotte des Stadtmobils.
Die Fahrten mit dem Auto haben einen kleinen organisatorischen Aufwand bekommen. Die Überlegung, steige ich nun in die Straßenbahn, die direkt vor dem Haus hält, oder laufe ich zum nächsten verfügbaren Auto, fällt automatisch häufiger gegen das Auto aus. Und alles funktioniert, ich bin nicht untergegangen. Nach einem Jahr hat die Zusammenrechnung der Kosten für Stadtmobil ergeben, dass dies – bei aktueller Nutzung – günstiger ist, als ein eigenes Auto zu kaufen und zu unterhalten.
Alles in allem bin ich froh diesen Schritt gegangen zu sein und komme damit wunderbar zurecht. Jetzt gerade hadere ich damit, ohne Auto unterwegs zu sein. Obwohl es klar war, wohin wir für einige Wochen reisen, war mir nicht ganz bewusst, wie sehr hier alles auf ein Auto ausgelegt ist.
Und nun stehen wir da – meine Tochter und ich – und überlegen uns, wie wir nach Berlin kommen und vor allem wieder zurück. Der Fußweg durch den Wald ist am Tag nicht bequem, aber unproblematisch. Sobald es dunkel wird, und dazu muss es zurzeit nicht spät werden, ist der unbeleuchtete Waldweg gruselig und birgt Verletzungsgefahr durch Löcher im alten Pflaster, Wurzeln und Steine am Rand.
Es braucht wieder etwas Mut, ohne einen genauen Plan, wie wir zurück kommen, machen wir uns auf den Weg. Notfalls zu Fuß zurück, vielleicht klappt es hier mit Uber.
„Das ist der Unterschied zwischen Stadt und Land“, meint meine Tochter als wir in Berlin auf die S-Bahn warten: „hier sagen wir, oh noch 7 Minuten bis zur nächsten Bahn. Heute früh hieß es ah, schon in 20 Minuten kommt der Bus.“ Wir lachen, es ist schön, die Herausforderungen als Abenteuer zu nehmen.
Am Bahnhof zu dem uns die Regionalbahn bringt, steigen wir aus immer noch ohne genauen Plan, wie es weiter geht. Ich beschäftige mich mit Uber, etwa eine halbe Stunde braucht der nächste Fahrer hierher, die Fahrt wird 20 Minuten dauern. Ob sich das lohnt? Es überrascht nicht, als zwei Fahrer die Fahrt erst annehmen, dann absagen. Ich werde von einer Nachbarin aus unserer Abgeschiedenheit angesprochen. Wir hatten bis jetzt nicht viel miteinander zu tun gehabt, sie erkennt mich zum Glück. Sie wird gleich von einer Freundin abgeholt, ob wir mitfahren wollen. Klar wollen wir!
Die Wege die wir nehmen sind nicht immer direkt, so werden auch kleine Wege zu Heldinnenreisen, wir bestehen Herausforderungen und kommen mit neuen Erkenntnissen und manchmal sogar mit neuen Gefärtinnen an.

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