Das Zuhause meiner Kindheit – die schattigen Seiten

Erinnerung ist ein Haus, das man sich selbst baut – man wählt aus, was man behält und in welchen Tönen man es färbt. Mein Erinnerungen sind vor allem sonnig. So sonnig war es natürlich nicht immer im Zuhause meiner Kindheit, auch wenn die Bewertung erst passierte, als ich mit einem erwachsenen Blick und mit etwas Abstand darauf schauen konnte.
Es ist anscheinend normal, dass ein Kind alles, was um es herum passiert, als „so muss es sein“ hinnimmt. Im Zuhause meiner Kindheit war es normal, dass wir die Gäste abends zu etwa 1 km entfernten Bushaltestelle zu Fuß begleiteten. Es war lustig und gesellig, nur selten passierte es, dass man von Betrunkenen angesprochen wurde. Noch seltener waren sie in Gruppen und nur in Einzelfällen kam es zu Schlägereien. Ich schreibe nicht von Kindern oder Halbstarken.
Selten hatten wir Kontakt mit der Polizei, klar war aber, sie ist nicht da, um uns zu beschützen, sie ist da, um uns das Leben schwer zu machen.
Nur wenige einzelne Ereignisse sind mir in Erinnerung geblieben, bei denen ich als junges Mädchen unangenehme Erfahrungen gemacht hatte, weil sie so alltäglich waren. Ob es unangemessene Berührungen beim Vorbeigehen waren oder der Überfall auf meine Mutter als sie am frühen Morgen Milch holte – viele kleine und größere Ereignisse, sowie der Umgang damit verfestigte die Überzeugung: Als Mädchen oder Frau hast du kein Recht auf Grenzen, jeder kann alles mit dir machen, also schaue, dass du nie in Situationen kommst, in denen etwas passieren kann.
Es liegt lange zurück und ich hadere nicht damit. Diese Erfahrungen sind trotzdem zweifelsohne in den Menschen, die Frau, die ich jetzt bin, eingeflossen und machen mich sensibler für ähnliche Ungerechtigkeiten.
So gern ich an die sonnigen Seiten meiner Kindheit denke, so sehr gehören auch die schattigen Seiten dazu. Diese Serie über das Zuhause meiner Kindheit möchte ich in Freude fortsetzen, jedoch ganz ohne Erwähnung der Schatten hätte sich eine falsche Note in die Berichte eingeschlichen.