Meine Tante ist diese Woche gestorben und meine Trauer hält sich in Grenzen. Als erstes Kind meiner Generation in der Familie meiner Mutter war mir die Aufmerksamkeit beider Tanten und des Onkels sicher. Ich war die lebendige Puppe, mit der sie Zeit verbrachten und spielten, da sie selbst noch keine Kinder hatten. Es war in meiner frühen Kindheit und die Bilder dieser Zeit sind schwarz-weiß, dennoch sind meine bruchstückhaften Erinnerungen sehr bunt und sonnig.
Diese Tante konnte ganz viele Kinderlieder auf Deutsch, die sie mir beibrachte. Auch später, als meine Cousine auf der Welt war, hatten wir uns oft gesehen. Sie konnte Familiengeschichten aus der Vergangenheit erzählen. Sie wusste genau wer wie auf Omas alten Fotos hieß, was die Leute gemacht haben und was aus ihnen geworden ist. So
wie die Lachfältchen wie Strahlen an ihren Augen endeten, schienen die Fäden – auch der entfernten Verwandtschaft – bei ihr zusammenzulaufen.
Das letzte Mal sah ich meine Tante vor einigen Jahren. Sie lebte bereits im Pflegeheim, da die fortschreitende Demenz ein selbständiges Leben nicht mehr möglich machte. Ich sollte sie zum Abendessen bei meiner Mutter abholen. Es war die Geburtstagsfeier meiner Mutter. Im kleinen kargen Zimmer des Pflegeheims sammelte meine Tante die vielen leeren Zettel, mit denen sie beschäftigt war, als ich kam, ein. So als wollte sie die Zettel vor meinen Blicken schützen. Sie hielt sie fest in der Hand, als sie sagte: „Wer sind Sie? Nein, ich komme nicht mit Ihnen mit. Sie lassen mich doch dann nicht mehr hier rein.“
Es zeichnete sich schon vorher ab: Sie wurde immer vergesslicher, trotzdem war sie mit ihrem Lächeln, mit ihrer neugierigen, freundlichen Art noch immer präsent. Der Tag, an dem sie in mir eine Fremde sah und mir nur distanziert oder erschrocken begegnen konnte, war der Tag an dem ich meine Tante verloren hatte. An dem Tag trauerte ich um meine Tante.
Ihr Tod setzt eine Art Schlussstrich und erlaubt mir endgültig Abschied zu nehmen – eigentlich war sie schon länger weg.
Ein Kommentar
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Ja es war ein Sterben auf Raten, jedes Mal waren ihre Fähigkeiten geschrumpft. Sehr lange Zeit hatte sie mich erkannt, aber es wurde schwieriger. Es hatte mir jedes Mal weh getan Sie so zu sehen.
Sie hatte immer ein sehr fröhliches Gemüt, und sah jünger aus, als sie war. Zuletzt gab es Besuche, wo ich sie nicht wach bekommen habe.
Es tat besonders weh sie so hilflos zu sehen..
An ihr letztes Lächeln erinnere ich mich, an einem Besuch im Sommer. Ich hebe mit ihr geredet, sie konnte nur silbenhaft ohne Zusammenhang reden. Dann hatte sie sich wohl an mich erinnert und gelächelt, dann meine Hand genommen und fest gehalten…
Es tat auch weh so meine Schwester langsam zu verlieren.
Jetzt hoffe ich und glaube fest daran, dass es ihr gut geht!