Meine Stadt

Junges Bäumchen, geweisst und in einem mit Steinen umrandeten Kreis.

„Und wie ist es? Erkennst du die Stadt wieder?“ lautete die erste Nachricht, die ich nach der Landung las. Dank der vorab gekauften eSIM war ich sofort online. Meine Freundin aus der Kindheit, für die Taschkent auch die Stadt ihrer Kindheit ist und die auch nicht mehr hier lebt, war ganz gespannt auf meine Eindrücke.

Wir wurden im Dunkeln zum Hotel gefahren. Ich schaute aus dem Fenster und versuchte irgendetwas zu erkennen. Nichts, aber auch gar nichts kam mir bekannt vor. Noch nicht mal annähernd.

Dass ich mich an die Stadt nicht erinnerte, ist kein Wunder. „Die Stadt“ kannte ich gar nicht. Als wir ausgewandert sind, war mein Bewegungskreis auf mein Viertel beschränkt. In „der Stadt“ war ich ab und zu mit meinen Eltern, da lief ich einfach mit und so war mir kein Gefühl dafür, wo was war oder wie die einzelnen Orte im Verhältnis zueinander lagen, geblieben.

Selbst die Art der Stadt erkannte ich im Dunkeln aus dem Autofenster nicht wieder. Angeleuchtet waren neue Gebäude, die orientalische Stilelemente haben – an solche Bauten konnte ich mich nicht erinnern.

Später am Abend schon aus dem Hotelbett antwortete ich etwas frustriert: „Nein, ich erkenne nichts hier.“

Wir sind in den Osten gereist, also war die Zeitverschiebung so, dass ich eigentlich hätte viel länger schlafen sollen. Neuer Ort und die innere Unruhe trieben mich früh aus dem Bett. Bevor unsere Reisegruppe sich zum Frühstück traf, machte ich einen Spaziergang durch die nähere Umgebung.

Das Hotel hatte eine ungünstige Lage. Keine öffentlichen Verkehrsmittel in der unmittelbaren Nähe, keine Sehenswürdigkeiten. Wir sind am Ende einer Sackgasse in einem Wohnviertel. Durch einen schmalen, für Autos unpassierbaren Durchgang zwischen einer Hausmauer und einem Zaun ging ich aus der Sackgasse und lief in Richtung eines nahe gelegenen Parks. Ein Spaziergang im Grünen ist in einer Großstadt immer etwas Besonderes. Meine Navi-Wander-App half mir die nächste größere Grünfläche und den Weg dahin zu finden.

Hinter dem schmalen Durchgang waren alte mehrstöckige Mehrfamilienhäuser. Die Straße war mit Bäumen gesäumt. Und auf einmal passte alles. Die Sonne, der blaue Himmel, die Kühle des Morgens, die in Erwartung eines heißen Tages sehr angenehm war. Der Asphalt der Straße zum Teil kaputt. Bäume zwischen den Häusern und der Straße, die etwa brusthoch geweißt sind. Es gibt auch sonst geweißte Baumstämme, aber diese Höhe, ist irgendwie einzigartig und seit meiner Kindheit dieselbe geblieben. Kleine Vorgärten, die nicht auf brauner Humuserde angelegt waren, sondern dem lehmigen Boden geschuldet, immer etwas karg aussehen. Um die jungen Bäumchen waren runde Vertiefungen gegraben – das macht das Gießen einfacher, da das Wasser etwas länger braucht um durchzusickern. Um die Vertiefung herum, die beim Ausgraben der Pflanzstelle gesammelten Steine in einer Runde gelegt, was das kleine Wasserreservoir noch etwas erhöht und abgrenzt.

Ein Geruch lag in der Luft. Den hatte ich in dieser Intensität lange nicht mehr gerochen und bevor ich die Bäume sah, wusste ich allein vom Geruch, dass es die blühenden Akazien sind.

Der Spaziergang war beruhigend. Da war sie, meine Stadt, an die ich mich kaum noch erinnerte. Der geführte Spaziergang später am Tag mit dem Besuch der wunderschönen Metrostationen, das eine markante Hotel, das so riesig schon zu meiner Zeit auf vielen Postkarten zu sehen war. Es war doch noch einiges da, zwischen allen Neubauten, neu angelegten Parks und neuen Denkmälern und Statuen.

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