Scheitern und Fallen

Diese Woche ist ein unbekannter Maler gestorben. Ein Mann, dessen Traum es war, Künstler zu sein. Er hatte unter anderem in Paris Kunst studiert und eine Zeit lang sich als Straßenmaler in Florenz versucht. Sein Traum davon, berühmter Maler zu werden oder zumindest von seinen Bildern leben zu können, war gescheitert.

Scheitern trägt eine Endgültigkeit in der Wortbedeutung. Eine Endgültigkeit, die man erst ganz am Ende festgestellt werden kann. Während man versucht, dürfte man streng genommen nicht vom Scheitern sprechen. Es gibt auch kein „endgültiges Scheitern“, weil das Scheitern immer ein Ende in sich trägt. Wer entscheidet wann daa Ende erreicht ist? Ist eine zerbrochene Schale am Ende? Nicht jede.

Es gibt die japanische Kunstform Kintsugi. Es geht darum zerbrochene Schalen zu reparieren. Dabei werden die einzelnen Scherben so zusammengeklebt, dass die Bruchstellen sichtbar bleiben. Sie werden nicht nur nicht versteckt, sondern vergoldet und damit zu einer Kostbarkeit gemacht. Die reparierte Schale wird dadurch einzigartig und noch wertvoller.

Im Buch „Kintsugi – Die Kunst, unsere Wunden zu heilen“ von Pascal Akira Frank wird diese Kunst auf das Leben übertragen. Der Autor schreibt vom Fallen, wenn kleinere und größere Dinge im Leben passieren, die uns verletzen. Wenn man die Scherben einsammelt und sie – wie in Kintsugi zusammenfügt, sieht das Ergebnis meistens nicht so aus, wie man es sich vorgestellt hatte, jedoch wird es dadurch einzigartig und ist auf eine neue Weise schön.

In der Schule wurden wir sozialisiert, die Fehler zum einen in den Fokus zu nehmen, zum anderen, als etwas Schlechtes zu betrachten. Die unzufriedenen Eltern, die glauben, dass vom Abschlusszeugnis der Erfolg oder Misserfolg im Berufsleben und damit das Lebensglück abhängt, verstärken den Effekt. Man bekommt das Gefühl, die Fehler verstecken zu müssen, um makellos zu wirken. Und so verwendet man viel Energie darauf, die „Bruchstellen“ zu kaschieren, anstatt sie anzunehmen und was Besseres daraus zu machen. Unsere Verletzungen – auch nicht sichtbar – formen uns.

Harald Martensen der Kolumnist der „Zeit“ schreibt über die Kunst des Kolumneschreibens, man solle echt sein, von den Erfolgen würden nur die eigenen Eltern lesen wollen, für alle anderen seien die Geschichten dann interessant, wenn sie echt sind mit Zweifeln, Misserfolgen und seinen Defiziten.

Dem liegt der Gedanke zugrunde, den Pascal Akira Frank in seinem Buch so auf den Punkt bringt: Fallen und Schadennehmen gehört zum Leben dazu. Man ist nicht weniger gut, wenn man Verletzungen erlitten hat, sondern normal. Wie wäre es also, wenn wir das Wort „scheitern“ nicht allzu schnell verwenden und es durch etwas nicht ganz so endgültiges ersetzen, so was wie „fallen“?

Der unbekannte Maler ist übrigens als Künstler nicht gescheitert. Er hatte sein Leben als sehr erfolgreicher Kunstschaffender gelebt, nur nicht so, wie er sich das am Anfang seines Berufslebens vorgestellt hatte. Beim Malen musste er Menschen und Szenen genau beobachten lernen. Dieser Fähigkeit hatte er in der Filmkunst sicher einen Teil seines Erfolgs zu verdanken. Sein Name war Robert Redford.

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