Das Zuhause meiner Kindheit
Schwarzer Tee mit drei Teelöffel Zucker und einer feinen Scheibe Zitrone, das gab es jeden Morgen zum Frühstück. Die Scheibe Zitrone gab es nicht jedes Mal, aber es war immer schwarzer Tee mit Zucker. Bis heute ist es ein Getränk, das bei Krankheit und Unwohlsein am besten hilft, obwohl Kaffee längst der erste Getränk des Tages geworden ist.
Tee ist so in der usbekischen Kultur verwurzelt, dass es „Tschoichanas“ gibt – übersetzt in etwa „Teezimmer“, in denen man Tees, aber auch was zu essen bekommt. In Märchen und Geschichten spielen diese Teezimmer eine wichtige Rolle: Dort erkundigt sich der Reisende als erstes über lokale Besonderheiten oder trifft der Weise auf den Reichen – woraus sich die Handlung entspinnt.
Als Kind war ich in keiner Tschoichana. Den Tee gab es zuhause. Morgens brühte meine Mutter in einer kleinen Teekanne starke Essenz mit schwarzen Teeblättern und im Laufe des Tages kochten wir frisch Wasser ab. Dann kam ein kleines Schluck der Essenz in die Tasse, diese wurde mit dem kochenden Wasser aufgegossen.
Im Garten meiner Großeltern, wo manchmal viele Leute am Tisch saßen, gab es einen elektrischen Samowar. Ein Monstrum aus Metall, dass mit Wasser gefüllt wurde. Oben auf dem Samowar war immer die kleine Teekanne mit der Teeessenz. Der Samowar wurde immer wieder angemacht und so das Wasser heiß gehalten. Es war ein besonderes Vergnügen direkt am Samowar zu sitzen. Dann durften wir Kinder unter strengen Ermahnungen der Erwachsenen den kleinen Wasserhahn bedienen und die Tassen mit der Teeessenz mit heißem Wasser auffüllen.
Bevor die Teeblätter in die Kanne kamen, wurde die Kanne mit kochendem Wasser ausgespült. Das weiche Wasser und die besondere Zubereitung machten den Tee besonders aromatisch. Natürlich zusammen mit den Teesorten, die wir verwendeten. Die besten kamen auch in Usbekistan aus Indien. Es gab keinen Filter, durch den die Teeessenz in die Tasse gegossen wurde, so dass immer 3-4 Blätterstückchen am Boden der Tasse waren. War der Tee frisch aufgegossen, waren es einige mehr, da die Blätter sich dann noch nicht gesetzt hatten. Dann goss man die Essenz aus der Tasse in die Kanne zurück und versuchte es nach 1-2 Minuten nochmal.
Traditionell usbekisch wird der schwarze oder grüne Tee in der kleinen Teekanne immer frisch zubereitet und nicht mehr verdünnt. Man trinkt ihn dann aus den „Pialas“ – kleinen Schälchen, deren Form dafür sorgt, dass der Inhalt schnell abkühlt.
Auch in den heißen Sommern war Tee das Hauptgetränk. Dann gab es Tee von frisch gepflückten Minzblättern oder wir legten einen Zweig Minze mit einigen Blättern direkt in die Tasse, in die der schwarze Tee eingegossen wurde. Ein heißes Getränk das kühlt – das war selbstverständlich. Erst viel später habe ich verstanden, dass es für manche paradox klingen mag.
Grüner Tee wurde immer stark gebrüht, so dass er ziemlich bitter war. Das mochte ich nicht. Als Erwachsene habe ich den japanischen grünen Tee probiert, erst da habe ich auch diesen Tee zu trinken und zu mögen gelernt.
Es sind noch etwas über fünf Wochen bis zu meiner Reise nach Usbekistan. Auf den Tee freue ich mich ganz besonders.