Zuhause meiner Kindheit
Wenn wir zu einer Zirkusvorstellung gingen, zogen wir schöne Kleider an, die Zöpfe wurden mit den besonders schönen Haarschleifen festgebunden und dann ging es los. Es war immer ein ganz besonderes Erlebnis.
Der Zirkus in Taschkent hat ein festes Gebäude. Es sticht bis heute heraus, da es rund und mit einer flachen Kuppel ist.
Im Inneren gab es eine Garderobe, bei der man die Jacken und Mäntel abgeben konnte. Im Zuschauerraum war eine ganz besondere Zirkusatmosphäre: Die Geräusche waren gedämpft – wie im Theater – und gleichzeitig hing der Geruch nach Stroh und Tieren in der Luft.
Die runde Manege im Zentrum war von vielen Reihen der – für uns Kinder zu großen – Sessel umrandet. Die Sessel waren mit rotem Samt bezogen und gepolstert. Die Reihen waren so schräg angeordnet, dass man immer eine gute Sicht auf die Manege hatte. Wenn wir weit hinten saßen, schien das Geschehen am Boden weit weg. Dafür waren die Luftakrobaten, mit ihren Kunststücken in schwindelerregender Höhe, umso näher.
Alles war pompös, strahlend und glitzernd. Ein Orchester begleitete die Vorstellung. Es gab vier kanonenartig aussehende Strahler, die per Hand von Menschen bedient wurden. Die Lichtstrahlen daraus waren gebündelt, die wechselnden Filter sorgten für Licht in verschiedenen Farben, was zauberhafte Effekte in der Manege erzeugte.
Den Auftritten der Clowns hatte ich am meisten entgegen gefiebert. Sie schienen immer viel zu kurz zu sein. Es war lustig, aber auch leicht unheimlich, weil die Zuschauer der ersten Reihen oder an den Durchgängen manchmal in die Vorstellung einbezogen wurden. Ganz vorne oder am Durchgang wollte ich deswegen nie sitzen.
Es gab Kunststücke mit Tieren: Hunde und Katzen waren immer dabei. Ich erinnere mich auch an Elefanten, Pferde, Kamele und sogar Raubtiere, für die ein Käfig rund um die Manege schnell auf- und nach der Nummer abgebaut wurde.
Luftakrobaten waren besonders schön gekleidet und schienen über den Köpfen zu schweben. Ich hielt bei jedem Salto die Luft an. Es war so aufregend, als würde ich selbst durch die Luft gewirbelt werden.
Am Ende der Vorstellung gab es eine Parade, alle Künstler und fast alle Tiere kamen raus und stellten sich an der Fußbänkchen hohen Erhebung auf, die den Zuschauerraum von der Manege trennte.
Die Vielfalt der Emotionen während der Vorstellung führte vermutlich dazu, dass wir überdreht den Zirkus verließen. In meiner Erinnerung machten wir im Anschluss einen langen Spaziergang durch einen Park, bei dem wir Kinder uns austoben konnten. Rund um das Neujahr gab es besondere Vorstellungen, eingebettet in eine Geschichte auf der Suche nach dem Väterchen Frost oder seinem Zauberstab, um am Ende die Lichter auf der geschmückten Tanne anzuzünden.
Eine kurze Recherche im Internet zeigt, dass es den Zirkus im Zirkusgebäude immer noch gibt. 1999 soll das Gebäude renoviert worden sein. Ich bin gespannt, ob wir in zwei Monaten den Zirkus sehen werden, vielleicht sogar eine Vorstellung darin besuchen können.