Es gibt anscheinend ein Glücks-U, wenn man das Alter mit dem Glück in Zusammenhang bringt. Die Mitte des Lebens scheint besonders anstrengend und damit am wenigsten mit Glück assoziiert zu sein. Vielleicht kommt daher die Aufforderung: „Genieße das Leben so lange du jung bist, denn das ist die schönste Zeit.“ Das sehe ich so nicht, die Jugend ist vielleicht die Zeit mit den gefühlt meisten Möglichkeiten.
Die sogennante Midlife-Crises hatte bei mir etwas mit der Erkenntnis zu tun, dass die Vielfalt der Möglichkeiten das Leben zu gestalten, nicht mehr so groß ist, wie sie mal war. Geholfen hatte damals die Erkenntnis, dass es nicht nur was Schlechtes ist. Dass ich eine Prima Balerina werde (mein Kindheitstraum) ist in der Mitte des Lebens genauso unwahrscheinlich, wie dass ich keine Tätigkeit finde, die mir Spaß macht und mit der ich Geld verdienen kann. Die Einschränkung der Möglichkeiten ist auch der Schutz von status quo – und mit dem bin ich zufrieden.
Wollte ich nochmal 20 sein? Eindeutig – nein! Da stand vieles vor mir, das Studium, die Berufswahl, aber auch das Herausfinden wer ich bin und worin ich gut bin. Keine der wesentlichen Entscheidungen würde ich bei zweitem Mal anders treffen. Selbst das Schreiben, um Leute zu berühren und so die Welt zu verändern, würde früher in meinem Leben eine ganz andere Gestalt haben. Alle Erfahrungen, die ich gemacht habe, alle Kenntnisse, die ich erworben habe, alle Menschen, die ich auf meinem Weg getroffen habe – das alles lässt mich genau diese Zeilen schreiben. Und hätte ich die Möglichkeit ein zweites Mal mein Leben zu leben, würde ich nichts von dem, was ich erlebt habe, missen wollen.
Ein Kollege sagte mir mal: „Wir werden nicht alt, unsere Risikoeinschätzung ändert sich.“ In jenem Jahr hatte er erst einen Ellenbogenbruch, dann einen angeknacksten Wirbel, der zur zeitweiligen Fixierung des Oberkörpers führte. Einen eindrücklicheren Beweis, dass sich die Risikoeinschätzung zu Recht ändert, kann ich mir nicht vorstellen. Der Körper ändert sich natürlich. Und Belastungen, die früher zu meistern waren, sind jetzt richtige Hürden geworden. Die Nächte mit wenig Schlaf kann ich bei weitem nicht so gut wegstecken, wie ich es früher konnte. Aus dem Stand lossprinten, um den Zug zu bekommen, klappt auch nicht mehr so leicht.
Dafür sind meine Möglichkeiten die Welt um mich herum nach meinen Vorstellungen zu gestalten so groß, wie sie noch nie waren, vor allem, weil ich weiß, wie die Welt funktioniert. Das kann natürlich zu zweierlei führen: man versteht, wie die Dinge laufen und glaubt daran, dass nur die Jugend die Welt verändern kann, dann fügt man sich und folgt dem Alltagstrott. Das Wissen, dass ich nicht von heute auf morgen alles ändern kann, muss aber nicht zur Resignation führen. Ich kann dafür realistisch einschätzen, was ich ändern kann und wie ich es am besten anstelle. Und es auch tun!
Meine Jugend war schön. Bald fünfzig und damit in der sprichwörtlichen Mitte des Lebens angekommen zu sein ist noch schöner.